Landgericht Koblenz Urteil
Mithaftung wegen Betriebsgefahr für Unfall bei „Touristenfahrt“ auf Nordschleife im NürburgringAuch ohne direkte Berührung zwischen den Unfallbeteiligten besteht die Haftung für die Betriebsgefahr
Wie wirkt sich die von einem jeden Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr im Rahmen eines Unfalls bei sogenannten „Touristenfahrten“ auf dem Nürburgring aus? Diese Frage hatte das Landgericht Koblenz zu entscheiden.
Die Parteien streiten um einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus einem Verkehrsunfallereignis.
Der Kläger befuhr am 02.06.2019 die Nordschleife des Nürburgrings. Im Bereich des Streckenabschnitts Schwalbenschwanz, Galgenkopf war das KRAD mit dem amtlichen Kennzeichen ME-GA 47, welches bei der Beklagten haftpflichtversichert ist, gestürzt. Zur Hilfeleistung hatte eine Dritte Person ihr KFZ zum Stand gebracht und wollte dem verunfallten KRAD-Fahrer zur Hilfe eilen. Auf der Strecke lag das KRAD des verunfallten KRAD-Fahrers mitten auf der Straße. Vor dem klägerischen Fahrzeug fuhr zudem ein PKW BMW M4, Kennzeichen EU-GT 22. In der Folge fuhr das klägerische Fahrzeug auf das Heck des vorausfahrenden PKW BMW M4, Kennzeichen EU-GT 22 auf, wobei weitere Einzelheiten zwischen den Parteien umstritten sind. Der Kläger behauptet, dass sowohl der Grünstreifen rechts von der Fahrbahn als auch die Fahrbahn durch zwei KFZ und das KRAD blockiert gewesen seien, sodass er binnen Sekundenbruchteilen und um Personenschäden zu vermeiden eine Notbremsung einleitete und mit seinem Fahrzeug gerade auf das Heck des BMW M4 auffuhr. Der Kläger beantragt Ersatz des ihm durch den Verkehrsunfall entstandenen Schadens und seiner Auslagen. Die Beklagte beantragt hingegen, die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass der vor dem klägerischen PKW fahrende BMW M4 kontrolliert zum Stehen gekommen sei und der Kläger zu spät auf das Bremsmanöver des vor ihm fahrenden Fahrzeuges reagiert habe. Bei ausreichendem Abstand, angepasster Geschwindigkeit und angemessener Reaktion hätte der Kläger sein Fahrzeug ohne weiteres unbeschadet hinter dem vorausfahrenden M4 zum Stillstand bringen können.
Die 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz hat der Klage nur in einem Umfang von 20 % stattgegeben, im Übrigen diese jedoch abgewiesen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte aus dem Verkehrsunfall einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, § 823 BGB und § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.
Unzweifelhaft hat sich der Unfall beim Betrieb der beteiligten Kraftfahrzeuge ereignet. Es kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass es sich für einen der Fahrer um ein unabwendbares Ereignis gemäß § 17 III StVG handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des so genannten "Idealfahrers". Für das klägerische Fahrzeug ergibt sich die Vermeidbarkeit zur Überzeugung der Kammer in Anbetracht der ermittelten Ausgangsgeschwindigkeit von rund 135 km/h durch einen deutlich zu geringen Abstand zum vorausfahrenden BMW M4, als dieser aufgrund des auf der Fahrbahn liegenden Krads voll abgebremst wurde. Aber auch dem Fahrer des bei der Beklagten versicherten Krads ist vorliegend nicht der Nachweis gelungen, dass das Unfallereignis für ihn unvermeidbar gewesen sei. Unstreitig ist zwischen den Parteien nämlich, dass der Fahrer mit seinem Krad gestürzt ist und das Krad in der Folge auf der Fahrbahn gelegen hat. Nach § 17 Abs.1 und Abs. 2 StVG hängt der Umfang des zu leistenden Schadensersatzes daher von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Unfallbeteiligten verursacht worden ist.
Vorliegend ist dabei zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser unstreitig auf den vorausfahrenden BMW aufgefahren ist. Gegen den Kläger streitet dabei, dass er vorliegend entgegen § 4 Abs. 1 StVO zu dem vorausfahrenden Fahrzeug einen zu geringen Abstand aufgewiesen hat. Demnach steht für die Kammer fest, dass der Kläger auf Grund eines zu geringen Abstandes zum vorausfahrenden PKW mit diesem kollidiert ist. Auf Seiten der Beklagten verbleibt es allerdings bei der einzustellenden Betriebsgefahr, welche die Kammer vorliegend mit 20 % in Ansatz bringt. Nach der Rechtsprechung des OLG Koblenz ist bei so genannten Touristenfahrten, wie vorliegend, bei denen bei zu zügigem (sportlichen) Fahren ein Kontrollverlust über das Fahrzeug droht, hingegen beim langsamen (vorsichtigen) Fahren die Gefahr besteht, dass es zu Auffahrunfällen mit sich von hinten "im Rennmodus" nähernden Fahrzeugen kommt, die Betriebsgefahr eines die Nordschleife des Nürburgrings befahrenden Fahrzeugs aufgrund der gefahrenträchtigen Örtlichkeit sowie der gefahrträchtigen Verkehrssituation als generell erhöht anzusehen (vgl. OLG Koblenz NZV 2023, 371, beck-online). Die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Krad hat sich vorliegend zur Überzeugung der Kammer auch kausal auf das Unfallereignis ausgewirkt. Die Kammer folgt insoweit den glaubhaften Angaben des Klägers, dass dieser eine Ausweichbewegung nach links vornehmen wollte, dies allerdings im Hinblick auf den sich auf der Strecke befindlichen Fahrer des Krads zur Vermeidung von Personenschäden unterlassen hat.
Demnach hat sich vorliegend die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Krad kausal auf das vorliegende Verkehrsunfallereignis ausgewirkt, gleichwohl es keine direkte Berührung zwischen dem klägerischen PKW und dem bei der Beklagten versicherten Krad gegeben hat. Ausreichend ist nämlich, dass der Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (vgl. BGH r+s 2017, 95, beck-online).
Dies ist vorliegend der Fall und führt zu einer (anteiligen) Haftung der Beklagten in Höhe von 20 %.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 16.09.2025
Quelle: Landgericht Koblenz, ra-online (pm/pt)