Europäischer Gerichtshof Urteil11.11.2025
EuGH erklärt zentrale Vorgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie für unwirksamHöhe des Mindestlohns können die EU-Staaten selbst bestimmen
Der Europäische Gerichtshof bestätigt zum Großteil die Gültigkeit der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union. Er erklärt jedoch die Bestimmung für nichtig, in der die Kriterien aufgeführt sind, die von Mitgliedstaaten, in denen es gesetzliche Mindestlöhne gibt, bei der Festlegung und Aktualisierung dieser Löhne zwingend zu berücksichtigen sind, sowie die Vorschrift, die eine Senkung dieser Löhne unterbindet, wenn sie einer automatischen Indexierung unterliegen.
Dänemark hat den Gerichtshof angerufen und beantragt, die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Es ist u. a. der Ansicht, dass diese Richtlinie gegen die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten verstoße, da sie unmittelbar in die Festsetzung des Arbeitsentgelts innerhalb der Union und in das Koalitionsrecht eingreife, die gemäß den Verträgen in die nationale Zuständigkeit fielen. Der Gerichtshof gibt Dänemark nur teilweise Recht. Er bejaht einen solchen Eingriff in Bezug auf zwei Bestimmungen der Richtlinie, die sich an Mitgliedstaaten mit gesetzlichen Mindestlöhnen richten und die Festlegung oder Aktualisierung dieser Löhne betreffen. Im Übrigen weist der Gerichtshof die Klage Dänemarks ab und bestätigt damit zum überwiegenden Teil die Gültigkeit der betreffenden Richtlinie.
Am 19. Oktober 2022 erließ der Gesetzgeber der Union, d. h. das Europäische Parlament und der Rat, die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union1. Zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Union wird mit dieser Richtlinie ein Rahmen geschaffen, um insbesondere die Angemessenheit von gesetzlichen Mindestlöhnen in Mitgliedstaaten mit derartigen Löhnen zu gewährleisten und Tarifverhandlungen zur Lohnfestsetzung zu fördern.
Dänemark hat beim Gerichtshof Klage erhoben, um die Richtlinie in vollem Umfang für nichtig erklären zu lassen. Die Richtlinie verstoße gegen die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten, da sie unmittelbar in die Festsetzung des Arbeitsentgelts innerhalb der Union und in das Koalitionsrecht eingreife, für die die Union nach den Verträgen nicht zuständig sei.
Der Gerichtshof stellt fest, dass sich der in den Verträgen vorgesehene Ausschluss der Zuständigkeit der Union in beiden in Rede stehenden Bereichen nicht auf alle mit dem Arbeitsentgelt oder dem Koalitionsrecht in jeglichem Zusammenhang stehenden Fragen erstreckt. Er betrifft auch nicht jede Maßnahme, die in der Praxis Auswirkungen oder Folgen für das Lohnniveau hat. Andernfalls würden bestimmte Zuständigkeiten, die der Union übertragen wurden, um die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen zu unterstützen und zu ergänzen, ihrer Substanz beraubt. Der Ausschluss der Zuständigkeit gilt somit nur, wenn das Unionsrecht unmittelbar in die Festsetzung des Arbeitsentgelts und in das Koalitionsrecht eingreift.
Nach Prüfung des Ziels und des Inhalts der Richtlinie stellt der Gerichtshof einen solchen Eingriff nur in zwei konkreten Fällen fest.
Erstens schreibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten, in denen es gesetzliche Mindestlöhne gibt, Kriterien6 vor, die bei der Festlegung und Aktualisierung dieser Löhne zu berücksichtigen sind. Insoweit beinhaltet die Richtlinie eine teilweise Harmonisierung der Bestandteile gesetzlicher Mindestlöhne und damit einen unmittelbaren Eingriff in die Festsetzung des Arbeitsentgelts.
Zweitens gilt dasselbe für die Vorschrift, die eine Senkung der gesetzlichen Mindestlöhne unterbindet, wenn das nationale Recht einen automatischen Mechanismus für Indexierungsanpassungen dieser Löhne vorsieht. Daher erklärt der Gerichtshof die Bestimmungen der Richtlinie für nichtig, die diese unmittelbaren Eingriffe des Unionsrechts in die Festsetzung der Vergütungen beinhalten und für die demzufolge keine Gesetzgebungskompetenz der Union besteht. Im Übrigen weist er die Klage Dänemarks ab. Vor allem stellt der Gerichtshof fest, dass das Unionsrecht mit der Richtlinie nicht unmittelbar in das Koalitionsrecht eingreift. Zu diesem Ergebnis gelangt er insbesondere in Bezug auf die Bestimmung der Richtlinie über die „Förderung von Tarifverhandlungen zur Lohnfestsetzung“, und zwar u. a. deshalb, weil diese Bestimmung die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, zu regeln, dass mehr Arbeitnehmer einer Gewerkschaft beizutreten haben.
Der Gerichtshof weist auch den Klagegrund Dänemarks zurück, die Richtlinie sei auf einer unzutreffenden Rechtsgrundlage8 erlassen worden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.11.2025
Quelle: Europäischer Gerichtshof, ra-online (pm/pt)