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Dokument-Nr. 35513

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Beschluss04.08.2025Bundesverfassungsgericht2 BvR 329/22; 2 BvR 330/22; 2 BvR 1191/22
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss04.08.2025

Inhaftierung von abzuschiebenden Ausländern erfordert eine vorherige richterliche AnordnungErfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerden gegen Festnahmen vor der Anordnung von Abschie­bungshaft

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat mehreren Verfas­sungs­be­schwerden stattgegeben. Die Beschwer­de­füh­re­rinnen und der Beschwer­de­führer sollten abgeschoben werden. Sie wurden zu diesem Zweck jeweils festgenommen, bevor eine richterliche Haftanordnung vorlag. Ihre fachge­richt­lichen Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Hiergegen wenden sich die Beschwer­de­füh­re­rinnen und der Beschwer­de­führer mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden.

Die Verfas­sungs­be­schwerden sind – soweit sie zur Entscheidung angenommen wurden – begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwer­de­füh­re­rinnen und den Beschwer­de­führer insbesondere in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

Sachverhalt

I. Ab dem 13. August 2020 begann die Auslän­der­behörde mit der Planung der Abschiebung der slowakischen Beschwer­de­führerin im Verfahren 2 BvR 329/22 (Verfahren I) und vereinbarte unter anderem mit dem Haftrichter am Amtsgericht anlässlich der „Abschiebehaft für Frau X“ einen Termin für den 25. August 2020. Unter dem 19. August 2020, Zugang beim Amtsgericht am 20. August 2020, beantragte die Auslän­der­behörde bei dem Amtsgericht die Anordnung von Abschiebungshaft gegen die Beschwer­de­führerin. Die Beschwer­de­führerin wurde zu unbekannter Uhrzeit am 25. August 2020 festgenommen und dem Haftrichter am Amtsgericht vorgeführt. Das Amtsgericht ordnete gegen die Beschwer­de­führerin Haft zur Sicherung der Abschiebung an. Die Beschwer­de­führerin wurde in die Haftanstalt verbracht und am 3. September 2020 in die Slowakei abgeschoben.

Der Antrag der Beschwer­de­führerin festzustellen, dass die Ingewahr­samnahme am 25. August 2020 bis zum Erlass des die Haft anordnenden Beschlusses des Amtsgerichts vom selben Tage rechtswidrig gewesen sei, blieb vor dem Amts- und dem Landgericht erfolglos.

II. Der eritreische Beschwer­de­führer im Verfahren 2 BvR 330/22 (Verfahren II) stellte in Deutschland einen Asylantrag, für dessen Bearbeitung nach der Dublin-II-Verordnung Italien zuständig war. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ordnete daher die Abschiebung dorthin an. Nach fünf gescheiterten Überstel­lungs­ver­suchen wurde der Beschwer­de­führer am Morgen des 5. April 2019, einem Freitag, in Gewahrsam genommen. Ein Abschie­bungs­versuch am selben Tag scheiterte am Widerstand des Beschwer­de­führers. Noch am 5. April 2019 ordnete das Regie­rungs­prä­sidium gegen den Beschwer­de­führer die vorläufige Ingewahr­samnahme an. Nach Rücksprache mit dem Amtsgericht werde der Beschwer­de­führer dem Haftrichter am 6. April 2019, einem Samstag, vorgeführt. Auf einen Haftantrag des Regie­rungs­prä­sidiums hin ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 6. April 2019 die Haft zur Sicherung der Abschiebung gem. § 62 Abs. 2 Aufent­halts­gesetz (AufenthG) in der Fassung vom 20. Juli 2017 (im Folgenden: a.F.) an.

Der Antrag des Beschwer­de­führers festzustellen, dass seine Ingewahr­samnahme am 5. April 2019 ab 15 Uhr bis zum Erlass des Haft anordnenden Beschlusses des Amtsgerichts vom 6. April 2019 rechtswidrig war und ihn in seinen Rechten verletzte, blieb vor dem Amts- und Landgericht erfolglos. Die Gerichte hielten die behördliche Ingewahr­samnahme auf Grundlage von § 62 Abs. 5 AufenthG für rechtmäßig. Auch sei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Freiheits­ent­ziehung eingeholt worden. Am Amtsgericht habe am 5. April 2019, einem Freitag, die Antragstellung nur innerhalb der Geschäftszeit, also bis 15 Uhr, erfolgen können.

III. Die Beschwer­de­führerin im Verfahren 2 BvR 1191/22 (Verfahren III) ist ebenfalls eine eritreische Staats­an­ge­hörige, deren Asylantrag wegen der Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt wurde. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ordnete ihre Abschiebung dorthin an.

Nachdem zwei Versuche, die Beschwer­de­führerin nach Italien zu überstellen, bereits gescheitert waren, fasste die Auslän­der­behörde für einen weiteren Versuch den 29. November 2017 ins Auge. Mit einem vom 24. November datierenden und am 27. November 2017 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben beantragte die Auslän­der­behörde, gegen die Beschwer­de­führerin gemäß § 62 b Abs. 1 Satz 1 AufenthG a.F. „Ausrei­se­ge­wahrsam zur Sicherung der Abschiebung“ anzuordnen.

Am 28. November 2017 wurde die Beschwer­de­führerin gegen 14.30 Uhr festgenommen und zum Amtsgericht verbracht, wo sie gegen 14.45 Uhr eintraf und vom Haftrichter angehört wurde. Mit um 15.45 Uhr an die Geschäftsstelle übergebenem Beschluss ordnete das Amtsgericht gegen die Beschwer­de­führerin Ausrei­se­ge­wahrsam an. Am 29. November 2017 wurde die Beschwer­de­führerin nach Italien überstellt.

Die Beschwer­de­führerin beantragte festzustellen, dass ihre Ingewahr­samnahme am 28. November 2017 bis zum Erlass des Haftbeschlusses durch das Amtsgericht rechtswidrig gewesen sei. Es habe sich um eine geplante Festnahme ohne vorherige gerichtliche Entscheidung gehandelt. Der Antrag blieb vor dem Amts- und Landgericht erfolglos, weil die Vorführung eine bloße Freiheits­be­schränkung, keine -entziehung dargestellt habe.

Wesentliche Erwägungen der Kammer

Die Verfas­sungs­be­schwerden sind – soweit sie zur Entscheidung angenommen wurden – begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwer­de­füh­re­rinnen und den Beschwer­de­führer insbesondere in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

I. Die angegriffenen Entscheidungen haben den Beschwer­de­führer im Verfahren II und die Beschwer­de­führerin im Verfahren III in ihrem durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Recht verletzt, da es für die Festnahme an der vorausgesetzten Ermäch­ti­gungs­grundlage in Gestalt eines förmlichen Gesetzes fehlte.

1. Im Verfahren II stellen zunächst die Vorschriften der Aufnah­me­richtlinie in Verbindung mit der Rückfüh­rungs­richtlinie, auf die sich das Regie­rungs­prä­sidium in seiner „Anordnung der vorläufigen Gewahrsamnahme“ stützte, keine taugliche Rechtsgrundlage für eine Freiheits­be­schränkung dar. Zwar können Regelungen in EU-Richtlinien in bestimmten Fällen – wenn Mitgliedstaaten die entsprechende Regelung nicht fristgerecht umgesetzt haben und soweit die fragliche Vorschrift inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist – unmittelbare Wirkung im Verhältnis zwischen Staat und Einzelnem entfalten. Allerdings vermag die unmittelbare Anwendung von Regelungen aus einer EU-Richtlinie nur Rechte des Einzelnen zu begründen. Der Mitgliedstaat, der die unzureichende oder verspätete Umsetzung verantworten muss, ist wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben daran gehindert, auf Grundlage einer nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien-Vorschrift gegen den Einzelnen vorzugehen.

2. Im Verfahren III stellten sich die Festnahme der Beschwer­de­führerin und ihre Verbringung ans Amtsgericht nicht als „Vorführung“ und damit Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung einer der Beschwer­de­führerin obliegenden Pflicht, vor dem Haftrichter zu erscheinen, dar. Dies scheidet bereits deswegen aus, weil die Beschwer­de­führerin im Vorfeld nicht zu einem Anhörungstermin geladen und mithin nicht verpflichtet worden war, vor dem Amtsgericht zu erscheinen. Aus denselben Gründen geht auch die Einschätzung des Amtsgerichts fehl, bei der Verbringung der Beschwer­de­führerin an das Amtsgericht habe es sich um die „zwangsweise Durchsetzung der Mitwir­kungs­pflicht“ der Beschwer­de­führerin aus dem AufenthG gehandelt. Denn auch hier war eine Verpflichtung zum Erscheinen vor dem Amtsgericht der Beschwer­de­führerin im Vorfeld nicht auferlegt worden.

3. Auch stellte die Vorschrift des § 62 Abs. 5 AufenthG a.F., die die Behörden zur vorläufigen Ingewahr­samnahme von ausrei­se­pflichtigen Ausländern zur Vorbereitung der Sicherungshaft ermächtigt hat, keine taugliche Rechtsgrundlage für die Festnahme der Beschwer­de­führerin und des Beschwer­de­führers in den Verfahren II und III dar.

Denn diese Regelung ermöglichte eine vorläufige Ingewahr­samnahme lediglich zum Zwecke der Vorbereitung der Haft zur Sicherung der Abschiebung im Sinne des § 62 Abs. 3 AufenthG a.F. Demgegenüber waren die Voraussetzungen für die Überstel­lungshaft in Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der jeweiligen Festnahme abschließend in Normen geregelt, welche durch § 62 Abs. 5 AufenthG a.F. aber gerade nicht in Bezug genommen wurden. Vor dem Hintergrund dieser gesetz­ge­be­rischen Entscheidung war für die gegen­ständ­lichen Festnahmen ein Rückgriff auf § 62 Abs. 5 AufenthG a.F. ausgeschlossen.

II. Die Festnahme der Beschwer­de­füh­re­rinnen in den Verfahren I und III ohne vorherige und die Festnahme des Beschwer­de­führers im Verfahren II ohne unverzüglich nachgeholte richterliche Anordnung verletzen die Beschwer­de­füh­re­rinnen und den Beschwer­de­führer zudem in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 GG.

1. Die Freiheits­ent­ziehung setzt grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung genügt nur, wenn der mit der Freiheits­ent­ziehung verfolgte, verfas­sungs­rechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Für diese Frage ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Auslän­der­behörde eine Haftanordnung frühestmöglich hätte erwirken können. Daraus folgt, dass von der Auslän­der­behörde konkret geplante Freiheits­ent­zie­hungen regelmäßig einer vorherigen richterlichen Anordnung bedürfen und Vollzugsbeamte der Polizei, die von der Auslän­der­behörde gebeten worden sind, einen Ausländer im Wege der Amtshilfe in Gewahrsam zu nehmen, sich regelmäßig nicht mit Erfolg darauf berufen können, dass zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung eine richterliche Anordnung nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden könne.

Eine nachträgliche richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. "Unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss.

2. In den Verfahren I und III planten die jeweiligen Auslän­der­be­hörden bereits vor den Festnahmen der Beschwer­de­füh­re­rinnen, sie vor ihrer Abschiebung in Haft zu nehmen. Warum die Amtsgerichte, bei denen die jeweiligen Anträge der Auslän­der­be­hörden zuvor eingingen, vor den geplanten Festnahmen der Beschwer­de­füh­re­rinnen keine Beschlüsse erließen, ist von den Fachgerichten weder aufgeklärt worden noch sonst erkennbar. Eine richterliche Entscheidung über den jeweiligen Haftantrag wäre vor der Festnahme der Beschwer­de­füh­re­rinnen möglich gewesen.

In den Verfahren lag, nachdem die Auslän­der­behörde jeweils bereits deutlich vor der Festnahme der Beschwer­de­füh­re­rinnen mit konkreten Vorbereitungen für die Inhaftierung begonnen hatte, im maßgeblichen Zeitpunkt kein Fall von Gefahr im Verzug vor, der eine behördliche Ingewahr­samnahme der Beschwer­de­füh­re­rinnen ohne vorherigen richterlichen Beschluss gestattet hätte. Im Verfahren III ändert auch der Umstand nichts, dass die Beschwer­de­führerin nach ihrer Festnahme unmittelbar an das Amtsgericht verbracht wurde und von der Festnahme bis zum Erlass der richterlichen Entscheidung nur ein Zeitraum von etwas über einer Stunde in Rede steht. Der Richter­vor­behalt unterliegt auf Rechts­fol­genseite keiner zeitlichen „Margi­na­li­täts­schwelle“.

3. Im Verfahren II haben Amtsgericht und Landgericht weder hinreichend aufgeklärt, welche Anstrengungen das Regie­rungs­prä­sidium unternommen hat, um einen Richter zu erreichen, noch wurde untersucht, welche Vorkehrungen am zuständigen Amtsgericht für die Erreichbarkeit eines Richters getroffen worden waren. Die im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts vom 1. Juli 2020 enthaltene Feststellung, dass nach Ende der „Geschäftszeiten" des zuständigen Amtsgerichts am Freita­g­nach­mittag um 15 Uhr keine richterliche Entscheidung mehr zu erlangen gewesen sei, reicht nicht aus, weil es allgemein festgelegte Dienstzeiten für Richter nicht gibt. Zudem oblag es den Gerichten, bei der Prüfung, ob eine richterliche Entscheidung unverzüglich im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nachgeholt wurde, eine dem Schutzzweck der Regelung entsprechende Gerichts­or­ga­ni­sation zu Grunde zu legen. Ob die Gerichts­or­ga­ni­sation am Amtsgericht diesem verfas­sungs­recht­lichen Gebot genügte, kann mangels entsprechender Feststellungen der Gerichte nicht überprüft werden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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