Bundesverfassungsgericht Beschluss28.08.2025
Familiengerichte können auf Umgangsregelungen verzichten, wenn es dem Kindeswohl entsprichtUnzulässige Verfassungsbeschwerden von Elternteilen gegen die Versagung von Umgangsregelungen
Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, die jeweils von Elternteilen erhoben worden sind, denen trotz von ihnen in familiengerichtlichen Verfahren begehrter konkreter Regelungen des Umgangs mit ihren nicht bei ihnen lebenden Kindern solche jeweils versagt worden sind.
Die gesetzlichen Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) über den Umgang sehen sowohl das Recht als auch die Pflicht von Eltern zum Umgang mit den eigenen Kindern vor. Können sich etwa getrennt lebende Eltern über Art und Umfang des Umgangs nicht einigen, ist es auf entsprechende Initiative eines Elternteils hin Aufgabe der Familiengerichtsbarkeit, eine Umgangsregelung zu treffen. Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Elterngrundrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) als auch derjenigen des Bundesgerichthofs zu den maßgeblichen fachrechtlichen Vorschriften muss bei einem entsprechenden Begehren eines Elternteils grundsätzlich eine konkrete Regelung getroffen oder der Umgang des Elternteils mit dem Kind ausgeschlossen werden. In der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte sind jedoch Ausnahmefälle angenommen worden, in denen die Familiengerichte trotz des Umgangsbegehrens eines Elternteils keine Umgangsregelung zu treffen brauchen. In beiden den Verfassungsbeschwerden zugrunde liegenden Ausgangsverfahren haben die Oberlandesgerichte jeweils einen solchen Ausnahmefall angenommen.
Beide Verfassungsbeschwerden sind unzulässig, weil die jeweiligen beschwerdeführenden Elternteile die Möglichkeit einer Verletzung ihrer durch die Verfassung gewährleisteten Rechte nicht ausreichend dargelegt haben. In einem der beiden Verfahren wirft das Vorgehen des Oberlandesgerichts, keine Umgangsregelung zu treffen, allerdings Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Elterngrundrecht auf.
Sachverhalte
Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 316/24 ist Vater eines im August 2008 geborenen Kindes. Es lebt seit der Trennung der Eltern bei der Mutter, die auch seit mehreren Jahren das Sorgerecht allein ausübt. In dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Ausgangsverfahren hatte das Familiengericht den Umgang des Beschwerdeführers mit seinem Sohn zeitweilig ausgeschlossen. Im Beschwerdeverfahren hat das damals 15-jährige Kind geäußert, es habe schon Interesse an seinem Vater, wolle aber spontan entscheiden, ob es diesen sehe oder nicht. Gestützt auf diesen Willen des Kindes hat das Oberlandesgericht die Voraussetzungen für einen Umgangsausschluss verneint und zugleich eine Umgangsregelung nicht für erforderlich gehalten. Das Kind habe eindeutig zum Ausdruck gebracht, keine gerichtlich angeordnete, regelmäßige Umgangsregelung zu wollen. Das Bestreben des Kindes nach Autonomie und Selbstbestimmtheit sei als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entwicklung des Kindes zu einer selbstbewussten unabhängigen Persönlichkeit zu respektieren.
Die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 810/25 ist Mutter eines im März 2017 geborenen Kindes, das seit Frühjahr 2021 bei dem mittlerweile allein sorgeberechtigten Vater lebt. Seitdem hat die Beschwerdeführerin mehrfach die Regelung ihres Umgangs mit dem Kind vor den Familiengerichten angestrebt. Damit ist sie bislang erfolglos geblieben, so dass sie seit März 2021 keinen Umgang mit dem Kind mehr hat. Im Ausgangsverfahren hat die Beschwerdeführerin erneut eine gerichtliche Umgangsregelung angeregt. Das Familiengericht hat diese Anregung wie bereits in vorangegangenen Verfahren „derzeit abgewiesen“. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Abänderung einer früheren Entscheidung, die eine Umgangsregelung abgelehnt habe, lägen nicht vor. Eine Regelung des Umgangs könne weiterhin auch wegen der fehlenden Bereitschaft der Beschwerdeführerin zu längerfristiger professioneller Begleitung der Umgänge nicht erfolgen. Komme nach Überzeugung des Gerichts zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung lediglich ein begleiteter Umgang in Betracht, wolle der (an sich) umgangsberechtigte Elternteil jedoch ausschließlich unbegleiteten Umgang wahrnehmen, sei das Verfahren mit der Feststellung zu beenden, dass eine Umgangsregelung nicht veranlasst sei.
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Wesentliche Erwägungen der Kammer
1. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 316/24 ist unzulässig. Auf der Grundlage der Verfassungsbeschwerde und der mit ihr vorgelegten Unterlagen lässt sich aber auch nicht erkennen, dass das Oberlandesgerichts mit dem Verzicht auf eine vom Beschwerdeführer beanspruchte Umgangsregelung diesen in seinem Elterngrundrecht verletzte. Ob der Verzicht auf eine Umgangsregelung in der hier vorliegenden Konstellation fachrechtlich überzeugend ist, war nicht zu entscheiden. Ausgehend von den im Ausgangsverfahren getroffenen Feststellungen geht mit dem Verzicht jedenfalls keine Verletzung des Elterngrundrechts des Beschwerdeführers einher.
Bei einem Streit der Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts haben die Fachgerichte von Verfassungs wegen eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Dabei sind sie im Grundsatz zwar gehalten, bei Bestehen eines entsprechenden Regelungsbegehrens den Umgang konkret zu regeln oder ihn bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auszuschließen. Denn die Ablehnung der Regelung des Umgangs kann einem Umgangsausschluss gleichkommen und daher in das Elternrecht des betroffenen Elternteils unangemessen eingreifen, ohne dass das Familiengericht die hierfür notwendigen fachrechtlichen Voraussetzungen einer Kindeswohlgefährdung geprüft hätte. Ohne eine Regelung des Umgangs kann das Umgangsrecht des betreffenden Elternteils leerlaufen, weil dieser ohne eine konkrete gerichtliche Regelung sein Umgangsrecht faktisch nicht ausüben kann.
Das verfassungs- und fachrechtlich begründete Gebot, im Regelfall bei entsprechendem Ersuchen den Umgang entweder konkret zu regeln oder auszuschließen, bedeutet aber nicht, dass der Verzicht auf eine Umgangsregelung durchgängig mit dem Elterngrundrecht des Umgang begehrenden Elternteils unvereinbar wäre. Die Nichtregelung des Umgangs stellt sich vorliegend in ihren Auswirkungen als eine besondere Art der Ausgestaltung des Umgangs dar, nämlich Umgänge auf freiwilliger Entschließung eines zu einer entsprechenden Willensbildung nach seiner Entwicklung befähigten Kindes. Soweit von einer Nichtregelung in tatsächlicher Hinsicht keine Beschränkung des Umgangs im Sinne der einschlägigen Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuches zu erwarten ist, führt eine Nichtregelung des Umgangs zu keiner Umgehung der für diese Fälle fachrechtlich vorgesehenen Prüfung einer Kindeswohlgefährdung. Wie auch sonst berücksichtigt eine solche Entscheidung das Elterngrundrecht des umgangsbegehrenden Elternteils vielmehr bereits dann angemessen, wenn sie am Kindeswohl ausgerichtet ist. Mit der angegriffenen Entscheidung, den Umgang im Hinblick auf die Wünsche des betroffenen, zum Entscheidungszeitpunkt 15-jährigen Sohnes nicht zu regeln, genügt das Oberlandesgericht dem Gebot, auch das Wohl des Kindes und seine Individualität als Grundrechtsträger zu berücksichtigen. Dieses verfassungsrechtliche Gebot entspricht den aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention folgenden Gewährleistungen. Das Oberlandesgericht hat sich in Umsetzung dessen maßgeblich auf den Willen des Sohns gestützt, der sich gegen eine feste Umgangsregelung ausgesprochen hat. Der Wille des Kindes ist bei der Regelung des Umgangs zu berücksichtigen, weil ein mit dem Willen des Kindes nicht vereinbarer Umgang durch die hiermit verbundene Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit des Kindes zu Entwicklungsgefahren führen und unter Umständen mehr Schaden als Nutzen verursachen kann.
2. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 810/25 ist ebenfalls unzulässig. Allerdings bestehen Zweifel, ob das Oberlandesgericht mit dem angegriffenen Beschluss einen auch dem Elterngrundrecht der Beschwerdeführerin hinreichend Rechnung tragenden Ausgleich zwischen den verschiedenen Grundrechtspositionen gefunden hat. Selbst wenn die im Fachrecht wohl nicht unmittelbar angelegte Möglichkeit, trotz eines darauf gerichteten Begehrens eines an sich umgangsberechtigten Elternteils das Verfahren ohne eine Umgangsregelung zu beenden, nicht an sich bereits mit dem Elterngrundrecht dieses Elternteils unvereinbar wäre, bestehen vorliegend verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts.
Die von ihm vertretene Rechtsauffassung, in der ihm vorliegenden Konstellation (weiterhin) trotz des entsprechenden Begehrens der Beschwerdeführerin abweichend vom Regelfall keine Umgangsregelung treffen zu müssen, ist nicht ohne Weiteres mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar. Das Gericht kann sich zwar fachrechtlich auf eine in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung und Teilen der Literatur vertretenen Rechtsansicht stützen, nach der in bestimmten Fallgestaltungen auf eine Umgangsregelung verzichtet werden kann. Die von dem Oberlandesgericht zugrunde gelegte Rechtsansicht muss sich aber daran messen lassen, ob die Ablehnung, eine von einem Elternteil erstrebte Umgangsregelung zu treffen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine die betroffenen Grundrechtspositionen berücksichtigende Entscheidung entspricht. Das ist zweifelhaft.
Die vom Oberlandesgericht zugrunde gelegte fachrechtliche Auffassung verlangt als eine Voraussetzung für den Verzicht auf eine Umgangsregelung eine bei Durchführung unbegleiteter Umgänge eintretende Kindeswohlgefährdung. Damit knüpft sie an die verfassungsrechtlich unbedenklichen Anforderungen aus § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB an, die hier wegen des mittlerweile mehrjährig fehlenden Umgangskontakts zum Tragen kommen dürften. Bei dieser Anwendung des Fachrechts müssen die Fachgerichte, um dem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gerecht zu werden, bei einem länger andauernden oder einem unbefristeten Umgangsausschluss grundsätzlich die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benennen. Auf entsprechende Feststellungen kann grundsätzlich auch auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht zugrunde gelegten Rechtsauffassung von Verfassungs wegen nicht verzichtet werden. Anderenfalls würde den Fachgerichten über das – gegebenenfalls mehrfache – Absehen von einer Umgangsregelung beziehungsweise eines Umgangsausschlusses ermöglicht, langjährig fehlende Umgangskontakte zu bewirken, ohne die dafür nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB an sich erforderliche Kindeswohlgefährdung festzustellen.
Das Oberlandesgericht dürfte eine Kindeswohlgefährdung aber nicht in einer diesen Erfordernissen genügenden Weise festgestellt haben. Die Ausführungen des Gerichts beschränken sich insoweit weitgehend auf die Prognose, es sei nach zwei oder drei von der Beschwerdeführerin zugestandenen begleiteten Umgängen von einem Umgangsabbruch auszugehen, weil danach unbegleitete Umgänge noch nicht in Frage kämen. Ein Umgangsabbruch sei aber für das betroffene Kind wegen des Aufenthaltswechsels in frühen Jahren und aufgrund der Belastungen infolge durchgehender Kindschaftsverfahren in besonderem Maße kindeswohlschädlich. Welche konkrete Schädigung drohen soll, wird indes nicht umfassender ausgeführt. Soweit das Oberlandesgericht zudem eine „konkrete Gefahr“ dafür sieht, dass das Kind nach einem oder mehreren Umgängen mit der Mutter weiteren Umgangskontakt ablehnen werde, bleibt die Grundlage für diese Prognose unklar. Soweit das Oberlandesgericht seine Prognose über eine im Fall von unbegleiteten oder einer unzureichenden Zahl vorbereitender begleiteter Umgänge drohende Kindeswohlgefährdung auf die Einschätzung eines familienpsychologischen Sachverständigen stützt, bleiben ebenfalls Zweifel an einer insgesamt hinreichend tragfähigen Grundlage des angegriffenen Beschlusses. Ausweislich der Entscheidungsgründe handelt es sich um eine „vorläufige Einschätzung“, die zudem vom 18. November 2022 stammt und damit jedenfalls die Entwicklungen von mehr als zwei Jahren bis zum angegriffenen Beschluss nicht berücksichtigen kann. Zudem hat das Oberlandesgericht nicht hinreichend in den Blick genommen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Umgangsentscheidungen, die aufgrund Umgangsausschlusses oder Verweigerung einer Umgangsregelung zu fehlendem Kontakt zwischen dem Kind und dem Umgang begehrenden Elternteil führen, mit zunehmender Dauer fehlenden Umgangs nicht nur in materieller Hinsicht wegen der zunehmenden Eingriffsintensität steigen, sondern auch diejenigen an die Verfahrensgestaltung und die Begründung der fachgerichtlichen Entscheidung. Hier lässt sich dem angegriffenen Beschluss auch nicht entnehmen, auf welcher Grundlage der Sachverständige seine vorläufige Einschätzung abgegeben hat. Insgesamt lassen die Beschlussgründe befürchten, dass das Oberlandesgericht die Bedeutung einer hinreichend tragfähigen Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung nicht vollumfänglich im Blick hatte. Dem kommt hier aber besondere Bedeutung zu, weil der erneute Verzicht auf eine Umgangsregelung angesichts der mittlerweile mehr als vier Jahre andauernden Umgangsunterbrechung mit nicht unerheblichem Gewicht in das Elterngrundrecht der Beschwerdeführerin eingreift.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 10.10.2025
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)