Bundesverfassungsgericht Beschluss23.07.2025
Rundfunk Berlin-Brandenburg scheitert mit Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen des rbb-StaatsvertragsStrenge Vorgaben des seit Anfang 2024 geltenden neuen rbb-Staatsvertrags verletzen nicht die Rundfunkfreiheit
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat eine Verfassungsbeschwerde des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) zurückgewiesen. Die angegriffenen staatsvertraglichen Regelungen betreffen die Regionalität und Organisation des rbb als Mehrländerrundfunkanstalt in föderaler Verantwortungsgemeinschaft.
Bei dem rbb handelt es sich um eine von den Ländern Berlin und Brandenburg gemeinsam errichtete öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Seine Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Zustimmungsgesetze zu dem im November 2023 zwischen beiden Ländern geschlossenen Staatsvertrag über den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb-Staatsvertrag), der einen neuen Rechtsrahmen für den rbb bildet. Er rügt eine Verletzung seiner Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) durch verschiedene staatsvertragliche Regelungen. Der rbb wendet sich insofern gegen ein neu geschaffenes Direktorium. Diesem wird zusätzlich zur Intendanz die Geschäftsleitung übertragen. Eigenverantwortliche Zuständigkeiten erhalten auch die Direktorinnen und Direktoren in ihren Bereichen. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind zudem die Festlegungen der Mindestzahl an Standorten von Regionalbüros und Regionalstudios, die neue Leitungsebene für die Landesprogramme in Berlin und Brandenburg sowie die Vorgabe einer Mindestdauer für die Auseinanderschaltung der beiden Landesfernsehprogramme. Zudem sieht sich der rbb durch erstmalige Regelungen zu einem Gebot der Ausschreibung von Stellen und zur Haftung der Intendanz sowie der Mitglieder von Rundfunk- und Verwaltungsrat in der Rundfunkfreiheit verletzt.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die überwiegend zulässig angegriffenen Regelungen verletzen die Rundfunkfreiheit des rbb nicht. Mit ihnen verfehlen die Landesgesetzgeber nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Sachverhalt
Die Länder Berlin und Brandenburg schlossen im November 2023 den rbb-Staatsvertrag, dem die Landesparlamente jeweils durch Gesetz zustimmten. Der Staatsvertrag trat am 1. Januar 2024 in Kraft. Seitdem bildet er für den rbb einen neuen Rechtsrahmen. Mit ihm verfolgen die Landesgesetzgeber das Ziel, Konsequenzen aus dem im Jahr 2022 bekannt gewordenen Versäumnissen beim rbb zu ziehen und strukturellen Defiziten durch ein wirksames Compliance-System und größtmögliche Transparenz entgegenzuwirken. Zudem soll Regionalität durch eine angemessene Verteilung der Ressourcen und Standorte gewährleistet werden.
Der rbb greift mit seiner Verfassungsbeschwerde verschiedene Bestimmungen des rbb-Staatsvertrags an. Diese haben im Wesentlichen folgenden Inhalt:
1. Durch § 15 Nummern 3 und 4 des rbb-Staatsvertrags wird zusätzlich zur Intendanz, die schon bisher die Aufgabe der Leitung des rbb wahrgenommen hat, nun ein Direktorium als weiteres Organ der Geschäftsleitung berufen. Dieses Direktorium bildet die Intendanz zusammen mit zwei Direktorinnen oder Direktoren. Die Zuständigkeiten des Direktoriums werden unter Verweis auf die Gesamtverantwortung der Intendanz festgelegt. Die Zuständigkeiten des Direktoriums umfassen Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung und die Klärung von Meinungsverschiedenheiten, die mehrere Geschäftsbereiche berühren. Die selbständige Leitung der Geschäftsbereiche durch die Direktorinnen und Direktoren wird unter Verweis auf die Gesamtverantwortung der Intendanz sowie auf die Beratungen im Direktorium festgelegt.
2. Nach § 2 Abs. 3 des rbb-Staatsvertrags betreibt der rbb Regionalstudios, mindestens in Cottbus/Chósebuz und Frankfurt (Oder), sowie Regionalbüros, mindestens in Brandenburg an der Havel, Prenzlau und Perleberg.
3. In § 4 Abs. 2 Nr. 1 des rbb-Staatsvertrags ist bestimmt, dass im Landesfernsehprogramm für Berlin und Brandenburg die gesonderte Darstellung jedes der beiden Länder durch eine regionale Auseinanderschaltung von mindestens 60 Minuten des täglichen Gesamtprogramms erfolgt. Für die Landesangebote sehen Absatz 4 Sätze 3 und 4 der Regelung eine zusätzliche Leitungsebene vor, die der Direktorin oder dem Direktor für den programmlichen Bereich unmittelbar unterstellt ist.
4. § 8 Abs. 3 des rbb-Staatsvertrags regelt erstmals die öffentliche Ausschreibung von Stellen, die beim rbb zu besetzen sind. Ausnahmen von dieser Ausschreibungspflicht bestehen nicht.
5. § 16 Absätze 3 und 4 sowie § 31 des rbb-Staatsvertrags bestimmen eine Haftung für die Mitglieder von Rundfunk- und Verwaltungsrat bzw. der Intendanz für Schäden aus schuldhafter Verletzung ihrer jeweiligen Pflichten. Insbesondere muss nach diesen Regelungen eine durch den rbb geschlossene Haftpflichtversicherung einen angemessenen Selbstbehalt vorsehen. Dieser beträgt für die Mitglieder der Aufsichtsgremien mindestens die Höhe der jährlichen Aufwandsentschädigung beziehungsweise der jährlichen Vergütung; für die Intendanz beträgt er mindestens zehn Prozent des eingetretenen Schadens und darf deren jährliche Festvergütung nicht überschreiten.
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Wesentliche Erwägungen des Senats
I. Die Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig. Das Bundesverfassungsgericht ist für die Prüfung der angegriffenen staatsvertraglichen Bestimmungen zuständig. Zwar weisen ihre Regelungsgehalte einen Bezug zu den Schutzvorkehrungen des Art. 5 des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes auf, der eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Sicherstellung der redaktionellen und funktionalen Unabhängigkeit von Mediendiensteanbietern vorsieht. Allerdings sind die aus diesen Mindeststandards folgenden Grundsätze erst auf nationaler Ebene festzulegen. Das Unionsrecht determiniert das innerstaatliche Recht daher nicht vollständig.
Die Verfassungsbeschwerde erweist sich insbesondere als unzulässig, soweit der rbb das Fehlen von Ausnahmen vom Gebot der öffentlichen Stellenausschreibung angreift. An einer hinreichenden Darlegung der Beschwer fehlt es auch im Hinblick auf die angegriffenen Haftungsregelungen. Der rbb ist begünstigter Gläubiger der Haftungsansprüche. Zwar legt der rbb dar, dass die damit verbundenen Auswirkungen zugleich die Erfüllung seines Auftrags betreffen können. So führt der rbb eine abschreckende Wirkung der Haftungsrisiken auf qualifizierte Kandidaten und eine deshalb erhebliche Beeinträchtigung der Gewinnung geeigneten Personals an. In der Sache bleibt jedoch unsubstantiiert, dass den Haftungsregelungen tatsächlich eine abschreckende Wirkung innewohnen könnte. Der rbb setzt sich mit den Haftungsbestimmungen schon inhaltlich nicht hinreichend substantiiert auseinander.
Rundfunkfreiheit ist nicht verletzt
II. Die Verfassungsbeschwerde ist im Hinblick auf die im Übrigen zulässig angegriffenen staatsvertraglichen Bestimmungen unbegründet. Der rbb ist nicht in seiner Rundfunkfreiheit verletzt.
1. Die Rundfunkfreiheit ist auf die Gewährleistung freier, individueller und öffentlicher Meinungsbildung in einem umfassenden Sinn ausgerichtet. Freie Meinungsbildung als Voraussetzung sowohl der Persönlichkeitsentfaltung als auch der demokratischen Ordnung vollzieht sich in einem Prozess der Kommunikation. Der Rundfunk ist ein Medium und Faktor dieses verfassungsrechtlich geschützten Prozesses. Die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dessen Ordnung ist Aufgabe des Gesetzgebers, der dabei einen weiten Gestaltungsspielraum hat. Er hat für die erforderlichen Vorbedingungen Vorsorge zu treffen.
Bei der Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat der Gesetzgeber den Anforderungen zu genügen, die aus der Sicherung seiner Funktionsfähigkeit, der Programmautonomie und dem aus dem Erfordernis der Vielfaltsicherung resultierenden Gebot der Staatsferne folgen. Verfehlt der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und beeinträchtigt er dadurch die Verwirklichung der Gewährleistungsgehalte der Rundfunkfreiheit, sind die Rundfunkanstalten in ihrer Rundfunkfreiheit verletzt.
Bei der Organisation der Geschäftsleitung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen kein bestimmtes Strukturmodell vorgegeben. Vielmehr kommt ihm Gestaltungsfreiheit zu, sofern die Funktionsfähigkeit des Rundfunks nicht gefährdet wird. Jedoch verlangt auch die effektive Kontrolle durch die binnenpluralistische Organisation der Rundfunkanstalten Organisationsbestimmungen, die eine klare Zuordnung der Verantwortlichkeit innerhalb der Organisationsstrukturen erlauben. Die Programmfreiheit umfasst, dass der Rundfunk frei von externer Einflussnahme entscheiden kann, wie er seine publizistische Aufgabe erfüllt. In seiner Entscheidung über die als nötig angesehenen Inhalte und Formen liegt zugleich eine Entscheidung über die zu ihrer Verwirklichung benötigte Zeit und damit über den Umfang des Programms. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter müssen zudem so organisiert werden, dass alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen und die Freiheit der Berichterstattung unangetastet bleibt. Ausfluss dieses Gebots der Vielfalt ist das Gebot der Staatsferne. Es mindert nicht die staatliche Gewährleistungsverantwortung, sondern bestimmt nur die Art und Weise ihrer Ausübung. Der Staat darf nicht bestimmenden Einfluss auf das Programm gewinnen. Die Organisation der Gremien einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ist aus dem Prozess staatlich-repräsentativer Willensbildung herauszulösen. Denn der Rundfunk ist Sache der Allgemeinheit und muss in voller Unabhängigkeit überparteilich betrieben und von jeder Beeinflussung freigehalten werden.
2. In Anwendung dieser Maßstäbe verletzen die zulässig angegriffenen Regelungen die Rundfunkfreiheit des rbb nicht.
a) Die vom Gesetzgeber gestaltete Organisation der Geschäftsleitung des rbb mit ihren zuständigkeitsverschränkenden Elementen gefährdet seine Funktionsfähigkeit und seine Aufgabenerfüllung nicht.
aa) Die Zuständigkeitsverteilung zwischen den zur Geschäftsleitung des rbb berufenen Organen ermöglicht eine die Aufgabenerfüllung sichernde gegenseitige Kontrolle. Die vom rbb gerügte Schwächung einer allein handelnden Intendanz durch Verminderung deren Kompetenzen führt nicht notwendig zu einer Einschränkung der Funktionsfähigkeit, sondern zunächst nur zu einer anderen Entscheidungsstruktur. Die Einrichtung kooperativer Entscheidungsfindungen mit der Chance einer Ausbalancierung etwaiger gegensätzlicher Standpunkte und der gegenseitigen Kontrolle steht dem Rundfunkgesetzgeber grundsätzlich offen.
bb) Die geregelte Abgrenzung der Zuständigkeiten des Direktoriums im Verhältnis zur Gesamtverantwortung der Intendanz führt nicht zu einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des rbb und bildet eine hinreichend effektive und klare Zuständigkeitsverteilung. Allen Organen wird ein eigener substantieller Zuständigkeitsbereich zur Wahrnehmung von Aufgaben der Geschäftsleitung zugewiesen. Mit einem Regelkatalog der Zuständigkeiten des Direktoriums wird eine funktionssichernde, hinreichend bestimmte Zuständigkeitsabgrenzung ermöglicht. Gegenüber Entscheidungen des Direktoriums dient die Widerspruchsmöglichkeit der Intendanz dazu, Entscheidungen zu verhindern, die sie mit Blick auf ihre Gesamtverantwortung als nicht tragbar ansieht.
Auch hinsichtlich des Entscheidungsmodus für Beschlüsse des Direktoriums liegt eine hinreichend bestimmte Regelung vor. Sie gefährdet die Funktionsfähigkeit des rbb nicht. Zwar enthält sich der rbb-Staatsvertrag einer ausdrücklichen Regelung dieser wesentlichen Organisationsfrage. Dass keine Einstimmigkeit gilt und das Mehrheitsprinzip auch nicht den Regelungen der Geschäftsordnung überantwortet bleibt, kann aber dem Umstand des Widerspruchsrechts der Intendanz und der Besetzung des Direktoriums mit drei stimmberechtigten Personen entnommen werden.
cc) Die Funktionsfähigkeit des rbb wird schließlich nicht durch die konkrete Gestalt der Zuständigkeiten und Verfahren im Hinblick auf die Auflösung von Entscheidungsblockaden bei Widersprüchen gegen Entscheidungen des Direktoriums gefährdet, wenn keine Verständigung in der Sache folgt. Bloß abstrakt denkbare Blockaden schmälern den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht. Die von den Landesgesetzgebern vorgegebene Ordnung bietet - wenn auch nicht auf der Ebene der konkreten Entscheidung, so doch auf personeller Ebene der Besetzung der Organe - einen Rahmen zur Lösung auftretender Sachkonflikte. Dies erhöht auch aufgrund der Bedeutung personeller Konsequenzen im Vorfeld den Druck zur Verständigung auf Kompromisslösungen. Dabei hegen die gegenüber dem rbb im Innenverhältnis bestehenden Pflichten seiner Organmitglieder Konfliktpotentiale ein.
Festlegung von Mindestzahl an Standorten ist rechtmäßig
b) Die Festlegung einer begrenzten Mindestzahl an Standorten von regionalen Organisationseinheiten - hier zwei Regionalstudios und drei Regionalbüros - begegnet im Hinblick auf die Verwirklichung der Gewährleistungen der Rundfunkfreiheit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Festlegung sichert eine Flächenpräsenz des rbb. Sie dient der regionalen Vielfalt im Programm und wird dem Wesen des rbb als Mehrländerrundfunkanstalt gerecht. Den daraus erwachsenen besonderen Identifikations- und Informationsbedürfnissen der Empfänger trägt die Veranstaltung regionaler Programme Rechnung. Der Schutz des Medienpluralismus auf regionaler Ebene ist auch ein in Art. 11 Abs. 2 GRCh ausdrücklich anerkanntes Ziel. Den Auftrag des rbb konkretisieren die Landesgesetzgeber dahin, dass er in der Gesamtheit seiner Angebote einen objektiven und umfassenden Überblick über unter anderem das länder- und regionenbezogene Geschehen in allen wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen zu geben hat. Die Angebote des rbb haben auch der regionalen Vielfalt der Länder Berlin und Brandenburg sowie der Sprache und Kultur des sorbischen/wendischen Volkes Rechnung zu tragen.
c) Die Festlegung einer zusätzlichen Leitungsebene für die Landesfernsehprogramme in Berlin und Brandenburg verletzt die Rundfunkfreiheit des rbb ebenfalls nicht. Dass die Geschäftsleitung in relevanter Weise erschwert und dadurch die Funktionsfähigkeit des rbb gefährdet würde, ist nicht erkennbar. Zudem ist nicht ersichtlich, dass mit der organisatorischen Einrichtung einer zusätzlichen Leitungsebene für beide Landesangebote staatlicher Einfluss auf die das Programm veranstaltenden und es gestaltenden Mitarbeitenden genommen wird.
Mindestdauer der Auseinanderschaltung der Landesfernsehprogramme
d) Die Regelung einer Mindestdauer der Auseinanderschaltung der Landesfernsehprogramme in einem Umfang von mindestens 60 Minuten des täglichen Gesamtprogramms, die eine gesonderte Darstellung jedes Landes beinhalten muss, verletzt die Rundfunkfreiheit des rbb nicht. Die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten schließt zwar die Entscheidung über die benötigte Zeit und über den Umfang der erforderlichen Programme ein. Die konkrete staatsvertragliche Mindestzeitvorgabe ist gleichwohl mit der Programmfreiheit als Kern der Rundfunkfreiheit vereinbar.
Das Mindestzeitfenster zur Identifikation mit Landesthemen ist hier in Relation zum Gesamtprogramm zeitlich eher eng bemessen. Die publizistische Inhaltsfreiheit bleibt erhalten. Die zeitliche Mindestvorgabe lässt dem rbb weiten Raum zur weitergehenden zeitlichen Gestaltung. Die staatliche Einflussnahme erschöpft sich in einer Mindestwahrnehmbarkeit des regionalen Bezugs, der eine Grundlage und damit ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen im Rahmen der gebildeten föderal-kooperativen Verantwortungsgemeinschaft ist.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.08.2025
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)