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14.11.2025 
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Dokument-Nr. 35565

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Bundesverfassungsgericht Beschluss01.10.2025

Wer eine Versammlung durch eine Sitzblockade stört, kann sich strafbar machenErfolglose Verfas­sungs­be­schwerde gegen straf­ge­richtliche Verurteilung nach § 21 Versamm­lungs­gesetz wegen Beteiligung an einer Gegen­de­mon­s­tration

Ein Mann wurde für die Teilnahme an einer Sitzblockade gegen eine Demonstration zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bestätigte nun die Verurteilung und stellte klar: Zwar ist eine Sitzblockade von der Versamm­lungs­freiheit gedeckt, doch die damit verbundene grobe Störung der anderen Demonstration kann dennoch strafbar sein.

Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat eine Verfas­sungs­be­schwerde zurückgewiesen, mit der sich der Beschwer­de­führer gegen seine straf­ge­richtliche Verurteilung nach § 21 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versamm­lungs­gesetz, im Folgenden: VersG) wegen seiner Beteiligung an einer Gegen­de­mon­s­tration wendet. Nach dieser Norm wird bestraft, wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalt­tä­tig­keiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht.

Im Mittelpunkt des Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahrens steht die Frage, ob eine straf­ge­richtliche Verurteilung nach § 21 VersG das Grundrecht auf Versamm­lungs­freiheit verletzt, wenn es sich bei dem der Verurteilung zugrun­de­lie­genden Sachverhalt um die Teilnahme an einer von Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten Gegen­de­mon­s­tration handelt.

Die Verfas­sungs­be­schwerde blieb ohne Erfolg. Zwar ist der Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit des Art. 8 Abs. 1 GG jedenfalls dann eröffnet, wenn eine Zusammenkunft nicht ausschließlich auf die Störung, Verhinderung oder Sprengung einer anderen Versammlung gerichtet ist, sondern neben solchen Elementen auch ein eigenständiges Element der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung aufweist. Der Eingriff in die Versamm­lungs­freiheit durch die straf­ge­richtliche Verurteilung ist aber gerechtfertigt. Insbesondere ist der Straftatbestand des § 21 VersG als Grundlage für den Eingriff in die Versamm­lungs­freiheit des Beschwer­de­führers in der hier einschlägigen Tatbe­stands­va­riante der „groben Störung“ sowohl formell als auch materiell verfas­sungsmäßig.

Sachverhalt

In Freiburg fand eine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung einer religiösen Vereinigung statt, in deren Rahmen auch ein Aufzug durch die Innenstadt geplant war. Nach Abschluss der Auftakt­kund­gebung wollten sich die Demon­s­tran­tinnen und Demonstranten plangemäß in Richtung Innenstadt in Bewegung setzen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich allerdings rund siebzig Gegen­de­mon­s­tran­tinnen und -demonstranten mehrreihig über die gesamte Fahrbahnbreite hinter das Martinstor gesetzt, sodass ein Passieren unter den beiden Torbögen nicht mehr möglich war. Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und unter Berück­sich­tigung der örtlichen Gegebenheiten sah sich die Polizei nicht in der Lage, den Aufzug der Demonstranten über die beiden grundsätzlich passierbaren Gehwege rechts und links des Martinstores an den Gegen­de­mon­s­tranten vorbeizuleiten.

Der Beschwer­de­führer, der sich unter den sitzenden Gegen­de­mon­s­tranten befand, verfolgte das Ziel, den Aufzug der Demonstranten in Höhe des Martinstores anzuhalten und den Aufzugsweg in Richtung Innenstadt zu blockieren. Dadurch wollte er gegen die Standpunkte der religiösen Vereinigung protestieren und die planmäßige Durchführung der Versammlung vereiteln.

Trotz mehrmaliger Aufforderung der Polizei, den Aufzugsweg freizugeben, blieben Gegen­de­mon­s­tranten, darunter der Beschwer­de­führer, hinter den Torbögen sitzen. Daraufhin verfügte die Polizei die versamm­lungs­rechtliche Auflösung der Sitzblockade der Gegen­de­mon­s­tranten. Die hinter dem westlichen Torbogen sitzenden Gegen­de­mon­s­tranten, darunter der Beschwer­de­führer, wurden schließlich von Polizeikräften umschlossen, erhoben sich und wurden an den Fahrbahnrand gedrängt. Die Versammlung der Demonstranten, die das Martinstor bei ungehindertem Verlauf bereits wenige Minuten nach ihrer beendeten Auftakt­kund­gebung erreicht hätte, konnte erst nach längerem Warten ihren Aufzug fortsetzen.

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwer­de­führer wegen Störung von Versammlungen und Aufzügen gemäß § 21 VersG zu einer Geldstrafe. Die vom Beschwer­de­führer eingelegte Revision wurde durch das Oberlan­des­gericht als unbegründet verworfen.

Gegen diese Entscheidungen wendet sich der Beschwer­de­führer mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde. Er macht insbesondere eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG geltend.

Wesentliche Erwägungen des Senats

A. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist zulässig, soweit sie eine mögliche Verletzung der Versamm­lungs­freiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG rügt. Insoweit sind vorliegend auch die Erfordernisse der Erschöpfung des Rechtswegs und der Subsidiarität gewahrt. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwer­de­führer anstelle des auch statthaften Rechtsmittels der Berufung sogleich das Rechtsmittel der Revision eingelegt hat.

Zwar lässt ein Beschwer­de­führer im Fall einer Sprungrevision bewusst eine Instanz aus, in der eine Beseitigung der geltend gemachten Grund­rechts­ver­letzung jedenfalls möglich gewesen wäre. Der Annahme eines generellen Zuläs­sig­keits­hin­der­nisses im Falle der Sprungrevision steht jedoch entgegen, dass die mit der Sprungrevision verfolgten Ziele der Verfah­rens­be­schleu­nigung und Prozessökonomie maßgeblich konterkariert würden, wenn sich Beschwer­de­führer mit ihrer Entscheidung für eine Sprungrevision jede Möglichkeit einer späteren Verfas­sungs­be­schwerde von vornherein abschnitten. Die Verfas­sungs­be­schwerde kann in diesem Fall allerdings nicht auf solche Einwände gestützt werden, die fachrechtlich nur vor der übersprungenen Instanz hätten geltend gemacht werden können.

B. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist unbegründet. Der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ist vorliegend zwar eröffnet. Der Eingriff in die Versamm­lungs­freiheit ist verfas­sungs­rechtlich aber gerechtfertigt.

I. 1. Die Versamm­lungs­freiheit zählt zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funkti­o­ns­ele­menten eines demokratischen Gemeinwesens und ist für die freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend. Der einer Demokratie immanente kontinuierliche Meinungskampf mit seinen wiederkehrenden, auf der Grundlage des Mehrheits­prinzips zu treffenden Entscheidungen erfordert fortwährend einen freien, offenen und pluralistischen Diskurs, in dem auch andersdenkende Minderheiten zu Wort kommen und Gehör finden. Diese fundamentale Bedeutung der Freiheit zur Versammlung in physischer Präsenz wird durch die fortschreitende Digitalisierung und wachsende Bedeutung sozialer Medien nicht in Frage gestellt. Auch in einer zunehmend digitalisierten Welt stellt eine Versammlung in physischer Präsenz im öffentlichen Raum ein unverzichtbares Instrument der kollektiven Meinungs­kundgabe dar, durch das ein gemeinsames kommunikatives Anliegen unmittelbar erlebbar wird und unabhängig von den Steue­rungs­me­cha­nismen entsprechender Online-Plattformen direkt an einen konkreten Adressatenkreis oder allgemein an die Öffentlichkeit gerichtet werden kann.

2. Auch bei einer Zusammenkunft, die auf die Störung einer anderen Versammlung gerichtet ist, ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG jedenfalls dann eröffnet, wenn sie ein eigenständiges Element der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung aufweist, ohne dass es auf dessen Gewichtung gegenüber dem Störungselement ankäme. Sofern eine derartige Zusammenkunft hingegen ausschließlich auf die Störung einer anderen Versammlung gerichtet ist, wird sie mangels Versamm­lungs­ei­gen­schaft nicht vom Schutzbereich umfasst. Etwas anderes gilt auch nicht für Zusammenkünfte, die – über eine bloße Störung hinaus – auf die Verhinderung oder Sprengung einer anderen Versammlung gerichtet sind.

3. Die hier maßgebliche Gegen­de­mon­s­tration weist jedenfalls ein eigenständiges kommunikatives Element in Form von konkreten inhaltlichen Äußerungen, insbesondere in Form von Sprechchören und Plakaten mit verschiedenen Aussagen, auf und ist daher als Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG einzuordnen. Damit unterfällt auch die konkrete Teilnahme des Beschwer­de­führers an der Gegen­de­mon­s­tration dem Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit.

II. Der durch die strafrechtliche Verurteilung gegebene Eingriff in die Versamm­lungs­freiheit ist allerdings verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt.

1. Der Straftatbestand des § 21 VersG in der hier einschlägigen Tatbe­stands­va­riante der „groben Störung“ ist formell verfas­sungsmäßig, insbesondere ist kein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gegeben.

a) Das Zitiergebot findet jedenfalls nur auf solche Grund­recht­s­ein­schrän­kungen Anwendung, die der Gesetzgeber vorhergesehen hat oder die für ihn hinreichend vorhersehbar waren. Zur Beurteilung der hinreichenden Vorher­seh­barkeit ist maßgeblich darauf abzustellen, was von einem sorgfältig handelnden Gesetzgeber ausgehend von einer strikten ex-ante-Perspektive realis­ti­scherweise erwartet werden kann.

In tatsächlicher Hinsicht muss der Gesetzgeber nur diejenigen Anwendungsfälle einer Norm in den Blick nehmen, die er bei Erlass der in Rede stehenden Regelung vor Augen hatte oder die sich ihm jedenfalls hätten aufdrängen müssen. In rechtlicher Hinsicht ist der Gesetzgeber jedenfalls gehalten, seiner Prüfung möglicher Grund­recht­s­ein­schrän­kungen die bisherige Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zugrunde zu legen. Eine Aktua­li­sie­rungs­pflicht des Gesetzgebers für den Fall, dass sich seine ex-ante-Bewertung zu einem späteren Zeitpunkt unter tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten als unzutreffend herausstellen sollte, besteht nicht.

b) Gemessen daran ist vorliegend kein Verstoß gegen das Zitiergebot festzustellen. Hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür, dass der historische Gesetzgeber bei Einführung des Straf­tat­be­stands des § 21 VersG im Jahr 1953 die damit verbundene Einschränkung der Versamm­lungs­freiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG konkret vorhergesehen hat, liegen nicht vor. Die Einschränkung war für den historischen Gesetzgeber im Jahr 1953 auch nicht hinreichend vorhersehbar, und zwar weder unter tatsächlichen noch unter rechtlichen Gesichtspunkten. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang unter anderem, dass sich damals zum Grundrecht der Versamm­lungs­freiheit, insbesondere zur Schutz­be­reichs­grenze der Friedlichkeit, noch keine Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts herausgebildet hatte.

2. Der Straftatbestand des § 21 VersG in der hier allein gegen­ständ­lichen Tatbe­stands­va­riante der Verursachung „grober Störungen“ begegnet auch unter materiellen Gesichtspunkten keinen durchgreifenden verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Der insoweit mit § 21 VersG verbundene Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG ist insbesondere mit dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit vereinbar.

a) Der Straftatbestand des § 21 VersG kommt zunächst hinsichtlich der darin enthaltenen Verbotsnorm zu einem angemessenen Ausgleich der wider­strei­tenden Interessen. Bei einer Gesamtabwägung mit dem Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ausgangs­ver­sammlung, ihre Versammlung überhaupt durchführen zu können, muss das Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gegen­ver­sammlung, ihre Versammlung gerade in einer grob störenden Art und Weise abhalten zu können, zurücktreten. Es ist für den Prozess der freien Meinungsbildung in einem demokratischen Gemeinwesen von zentraler Bedeutung, dass das Recht, seine Meinung gemein­schaftlich mit anderen öffentlich kundzutun, nicht zum Mittel wird, um Menschen mit anderen Überzeugungen an der Wahrnehmung desselben Rechts zu hindern.

b) Zu einem anderen Ergebnis gelangt man auch nicht unter Einbeziehung der in § 21 VersG enthaltenen straf­recht­lichen Sanktionsnorm. Die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, das in § 21 VersG enthaltene Verbot der „groben Störungen“ nicht verbotener Versammlungen und Aufzüge in Verhinderungs-, Sprengungs- oder Verei­te­lungs­absicht strafbewehrt auszugestalten, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Diese Störungen stellen nicht nur insgesamt ein geordnetes, funkti­o­ns­fähiges Versamm­lungswesen in Frage, sie beeinträchtigen auch ganz konkret die von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Grund­rechts­ausübung Dritter. Auch der konkret vorgesehene Strafrahmen begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.

3. Ausgehend vom Beschwer­de­vor­bringen und von den zugrunde zulegenden Feststellungen des Amtsgerichts ist der Straftatbestand vorliegend auch in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise angewandt worden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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