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04.11.2025 
Sie sehen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 35532

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Beschluss23.09.2025Bundesverfassungsgericht1 BvR 2284/23, 1 BvR 2285/23
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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.09.2025

Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärt nach Verfas­sungs­be­schwerden von Ärzten die Triage-Regelungen für verfas­sungs­widrigTriage-Regelungen des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes sind mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Triage-Regelungen des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infek­ti­o­ns­krank­heiten beim Menschen (Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz - IfSG) wegen fehlender Bundeskompetenz für die konkreten Regelungen für nichtig erklärt.

Die Beschwer­de­füh­renden – Fachärztinnen und Fachärzte im Bereich der Notfall- und Intensivmedizin – wenden sich mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden unmittelbar gegen den neu eingeführten § 5 c IfSG. Darin regelt der Bundes­ge­setzgeber unter anderem, anhand welcher materieller Kriterien eine Entscheidung über die Zuteilung überle­bens­wichtiger inten­siv­me­di­zi­nischer Behand­lungs­ka­pa­zitäten bei nicht ausreichenden Ressourcen – also im Fall einer sogenannten Triage – zu treffen ist, soweit dieser Knappheitsfall durch eine übertragbare Krankheit jedenfalls mitverursacht ist.

Die Verfas­sungs­be­schwerden haben Erfolg, der Eingriff in die Berufsfreiheit ist verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt. Es besteht keine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen des § 5 c IfSG.

Die Entscheidung ist mit 6 : 2 Stimmen ergangen.

Sachverhalt

Mit der Neuregelung von § 5 c IfSG hat der Gesetzgeber erstmals ein Verfahren sowie ein (positives) Priori­sie­rungs­kri­terium und zahlreiche nicht anzuwendende Kriterien im Falle einer Triage geregelt. Er hat damit auf den Beschluss des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 16. Dezember 2021 - Az. 1 BvR 1541/20 reagiert. Der Erste Senat hatte darin festgestellt, dass der Gesetzgeber Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt habe, weil er es unterlassen habe, Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überle­bens­wichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender inten­siv­me­di­zi­nischer Ressourcen benachteiligt werde. Das Gericht hatte den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich geeignete Vorkehrungen zu treffen.

Kennzeichnend für die Triage-Situation bei einem Mangel an inten­siv­me­di­zi­nischen Ressourcen ist ein Dilemma: Jede Entscheidung über die Verteilung der zur Verfügung stehenden inten­siv­me­di­zi­nischen Ressourcen kann regelmäßig zu einem Verlust von Menschenleben führen. Die Zuteilung der vorhandenen Ressourcen (sog. Allokation) kann folglich nie zum Wohle aller Patienten gelingen. Der neu eingeführte § 5 c IfSG macht gesetzliche Vorgaben für diese Zuteilung überle­bens­wichtiger inten­siv­me­di­zi­nischer Behand­lungs­ka­pa­zitäten in einer Knapp­heits­si­tuation.

Die Beschwer­de­führer wenden sich gegen die Regelungen des § 5 c IfSG und rügen unter anderem, durch diese in ihrer Berufsfreiheit verletzt zu sein.

Wesentliche Erwägungen des Senats

A. Die Verfas­sungs­be­schwerden sind zulässig und begründet, soweit die Beschwer­de­füh­renden eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG durch § 5 c Absätze 1 bis 3 IfSG rügen.

I. Es liegt ein Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit vor. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet, dass Ärztinnen und Ärzte in ihrer beruflichen Tätigkeit frei von fachlichen Weisungen sind, und schützt – im Rahmen therapeutischer Verantwortung – auch ihre Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ einer Heilbehandlung. Die Regelungen des § 5 c Absätze 1 bis 3 IfSG schränken die Thera­pie­freiheit ein und beeinträchtigen damit die Berufs­aus­übungs­freiheit.

II. Der Eingriff ist verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt, es fehlt bereits an der formellen Verfas­sungs­mä­ßigkeit. Es besteht keine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen des § 5 c Absätze 1 bis 3 IfSG.

1. Der Bund kann sich hinsichtlich der konkreten Normen nicht auf die Kompetenz zur Regelung von Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG („Maßnahmen gegen gemein­ge­fährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren“) stützen. Dieser Kompetenztitel bietet keine Grundlage für ein reines Pande­mie­fol­genrecht. Voraussetzung ist vielmehr eine gewisse, auf Eindämmung oder Vorbeugung bezogene Gerichtetheit der Maßnahme.

a) Schon der Wortlaut des Kompetenztitels spricht dafür, dass es für die Anwendbarkeit nicht genügt, wenn eine Regelung lediglich an die Auswirkungen einer Pandemie anknüpft, ohne dass sie der Eindämmung oder Vorbeugung der übertragbaren Krankheit als solcher dient. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG spricht von Maßnahmen „gegen“ übertragbare Krankheiten „bei“ Menschen und bringt damit zum Ausdruck, dass sich die Kompetenz auf Regelungen bezieht, die dazu dienen, im Bundesgebiet auftretende übertragbare Krankheiten als solche einzudämmen. Auch spricht die Historie der Gesetz­ge­bungs­kom­petenz im Gesund­heits­bereich – die nach und nach auf die Länder verlagert wurde – für eine Beschränkung auf Regelungen zur Eindämmung oder Bekämpfung einer Pandemie und umgekehrt gegen die Einbeziehung reiner Pande­mie­fol­ge­re­ge­lungen.

b) Bei den Regelungen des § 5 c IfSG handelt es sich auch nicht um eine „Maßnahme“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG. Nach ihrer konkreten Konzeption stellen die Regelungen kein Instrument der Vorbeugung oder der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dar. Sie mindern Infek­ti­o­ns­risiken nicht, sondern sagen nur aus, wie ein Arzt Patienten bei nicht ausreichenden inten­siv­me­di­zi­nischen Behand­lungs­ka­pa­zitäten priorisieren muss. § 5 c IfSG trifft im Schwerpunkt also Regelungen dazu, „wer“ behandelt werden darf, nicht jedoch zum „Wie“ der Behandlung. Diese Regelungen knüpfen als reines Pande­mie­fol­genrecht also an eine Knappheit infolge einer Pandemie an, dienen aber nicht der Pande­mie­be­kämpfung. So nennt auch der Normtext selbst als Zweck der Regelungen den Schutz vor Diskriminierung und die Rechts­si­cherheit für die handelnden Ärztinnen und Ärzte.

c) Da die Triage­re­ge­lungen für die Vorbeugung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nicht unerlässlich sind, kann auch nicht auf eine Kompetenz kraft Sachzu­sam­menhangs oder eine Annexkompetenz abgestellt werden.

2. § 5 c Absätze 1 bis 3 IfSG lassen sich auch nicht unter den Titel konkurrierender Gesetzgebung der öffentlichen Fürsorge fassen. Dieser tritt hinter Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, Nr. 19a GG als die spezielleren Kompetenztitel zurück.

Zwar enthalten die Regelungen des § 5 c IfSG fürsorgerische Elemente, soweit sie dem Schutz von Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung zu dienen bestimmt sind. Gleichwohl sprechen systematische Erwägungen gegen eine Eröffnung des Anwen­dungs­be­reichs des Kompetenztitels. § 5 c IfSG ist eine dem Gesund­heitswesen zugehörige Norm, es fehlt ihr an einem primär fürsor­ge­recht­lichen Charakter. Wenngleich die Norm auch antidis­kri­mi­nie­rungs­rechtliche Ziele verfolgt, regelt sie als Alloka­ti­o­ns­vor­schrift die medizinische Behand­lungs­rei­henfolge im Fall einer Triage und damit im Kern ärztliche Berufsausübung und kranken­haus­rechtliche Verfah­rens­pflichten. Die Entscheidung der Verfassung, dem Bund für das Gesund­heitswesen nur auf einzelne Sachbereiche beschränkte Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen zuzuweisen, darf nicht durch eine erweiternde Auslegung der Gesetz­ge­bungs­kom­petenz für die öffentliche Fürsorge unterlaufen werden.

3. Die angegriffenen Regelungen sind weiterhin weder Teil des bürgerlichen Rechts noch des Strafrechts und werden daher auch nicht von den entsprechenden Gesetz­ge­bungs­titeln erfasst. Insbesondere wollte der Gesetzgeber losgelöst von zivil­recht­lichen Vertrags­ver­hält­nissen die Allokation knapper inten­siv­me­di­zi­nischer Ressourcen in einer Ausnah­me­si­tuation regeln, indem er Vorgaben generell für die ärztliche Berufsausübung gemacht hat. Diesem klaren gesetz­ge­be­rischen Willen widerspräche erkennbar auch eine geltungs­er­haltende Reduktion der Norm auf bürgerlich-rechtliche Verhältnisse.

4. Zuletzt kommt eine Bundeskompetenz auch nicht kraft Natur der Sache in Betracht. Alloka­ti­o­ns­re­ge­lungen erfordern im Pandemiefall nicht notwen­di­gerweise eine gesamt­s­taatliche Regelung. Dass allein der Bund zur effektiven Beherrschung der Diskri­mi­nie­rungs­risiken in einer Triage-Situation in der Lage wäre, insbesondere weil den Ländern die dahingehende Handlungs­fä­higkeit fehlte, ist nicht erkennbar. Der Umstand, dass in Fällen einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite eine bundes­ein­heitliche Regelung zweckmäßiger sein könnte als eine Selbst­ko­or­di­nierung der Länder, genügt für die Annahme einer Kompetenz kraft Natur der Sache nicht. Nach der aktuellen Kompe­tenz­ver­teilung des Grundgesetzes tragen die Länder maßgeblich die Verantwortung für diskri­mi­nie­rungs­sensible Alloka­ti­o­ns­regeln im Sinne reiner Pande­mie­fol­gen­re­ge­lungen, die auch länder­über­greifend tragfähige Entscheidungen ermöglichen müssen.

B. Die Unvereinbarkeit des § 5 c Absätze 1 bis 3 IfSG mit Art. 12 Abs. 1 GG führt zur Nichtigkeit dieser Regelungen. Die Nichtig­keits­er­klärung ist auf § 5 c Absätze 4 bis 7 IfSG zu erstrecken, weil diese Regelungen mit der gesetzlich definierten Zutei­lungs­ent­scheidung und den hierfür vorgesehenen materiellen Kriterien in unlösbarem Zusammenhang stehen und einzig aus ihr ihre Rechtfertigung beziehen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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