Bundessozialgericht Urteil24.03.2022
Entschädigung wegen überlanger Dauer eines sozialgerichtlichen VerfahrensEntschädigungshöhe von 100 € pro Monat der gerichtlichen Inaktivität
Die überlange Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens kann einen Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG begründen. Die Entschädigungshöhe beträgt pro Monat der gerichtlichen Inaktivität 100 €. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden.
In dem zugrunde liegenden Fall klagte ein Mann im Jahr 2019 vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg auf Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer. Anfang Februar 2015 hatte der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin eine Klage wegen Neubescheidung eines Antrags auf Erlass von Darlehensschulden bei der Bundesagentur für Arbeit erhoben. Nach einem Schriftwechsel zwischen den Parteien wurde das Verfahren im August 2015 in das Entscheidungsfach gelegt. Danach passierte bis Oktober 2017 trotz mehrerer Sachstandsanfragen des Klägers nichts. Im Oktober 2017 wurde der Fall von einem anderen Richter übernommen. Es kam zu weiteren Schriftwechseln der Parteien. Im Dezember 2018 erhob der Kläger Verzögerungsrüge. Im August 2019 kam es schließlich zu einem Termin bei dem das Verfahren beendet werden konnte. Der Kläger beanspruchte nachfolgend eine Entschädigung wegen der langen Verfahrensdauer. Diese wurde ihm in Höhe von 1.200 € zuerkannt. Dies war dem Kläger aber zu wenig. Er wollte weitere 3.500 €.
Landessozialgericht gab Klage in Höhe von weiteren 1.300 € statt
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg gab der Klage insoweit statt, dass der Kläger weitere 1.300 € als Entschädigung erhielt. Dagegen richtete sich die Revision des Klägers.
Bundessozialgericht sprach weitere 300 € an Entschädigung zu
Das Bundessozialgericht entschied zum Teil zu Gunsten des Klägers. Ihm seien weitere 300 € an Entschädigung zuzusprechen. Der Anspruch ergebe sich aus § 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit § 198 GVG. Das Ausgangsverfahren umfasste insgesamt 55 Kalendermonate. Davon seien inaktive Zeiten von 40 Monaten festzustellen. 12 Monate können davon als Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das Sozialgericht abgezogen werden. Damit seien 28 Monate als entschädigungspflichtig zu bewerten. Es liege eine unangemessene Verfahrensdauer vor. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG erhalte der Kläger pro Monat der Inaktivität 100 € und somit insgesamt 2.800 €. Da der Kläger bereits außergerichtlich 1.200 € erhielt und vom Landessozialgericht weitere 1.300 € zugesprochen bekam waren noch weitere 300 € anzuerkennen.
Kein Abzug wegen Erkrankung des zuständigen Richters
Ein Abzug von drei Monaten wegen der Erkrankung des zuständigen Richters komme dagegen nach Auffassung des Bundessozialgerichts nicht in Betracht. Der Kläger müsse diese Zeiten nicht entschädigungslos hinnehmen. Es sei Sache des Gerichts bzw. des Staates eine erforderliche Vertretung eines erkrankten Richters sicherzustellen oder andere geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verzögerungen durch krankheitsbedingten Ausfall auf ein Maß zu reduzieren, das dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit ausreichend Rechnung trägt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 25.07.2025
Quelle: Bundessozialgericht, ra-online (vt/rb)